Page 45 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Dann packten wir unsere einfachen Brote mit Auf denn, erhebt euch, Brüder, Genossen,
Erdnüssen aus, lagen dann so herum, im Kreis, ergreift die Waffen und schließt die Reihn !
Heckmann in der Mitte las den Rest aus Schuld Auf, auf nun . . .
und Sühne vor. Das war wunderbar, das waren
wunderbare Momente. Worte: Waclaw Swiecicki
Musik: Nach dem „Marsch der Zuaven"
Und dann zurück. Die Kräftigen wollten zu-
rückschwimmen, durch die Fulda von oben
herunter bis zur Walkemühle. Und die Fulda ist
zum Teil furchtbar wild, da geht es tief und Dann wanderten wir also froh, fröhlich gestärkt
flach, und dann rutscht man über die Steine; durch das Schwimmen, zurück. Die zwei, die in
das hat uns Julie Pohlmann, der Gesund- der Walkemühle geblieben waren - es musste
heitswart, aber verboten, sie wollte das Risiko ja immer jemand da bleiben für den Fall, dass
nicht auf sich nehmen. irgendwo ein Feuer ausbrach, die hatten dann
aus frischen Erdbeeren rohen Erdbeersaft ge-
Dann sind wir wieder zurückgegangen, und wir macht, und wir kriegten also diesen herrlichen
sangen die ganzen Revolutionslieder. Wir frischen Erdbeersaft - das schmeckte damals ja
waren doch alle so begeistert von der russi- noch.
schen Revolution. Wir wussten ja noch nicht,
dass das so eine Entwicklung nimmt. Das war Da sagte Minna Specht: ,Wer will mit in die
damals die große Sache und wir sangen die Kapelle? Ich spiele aus der 6. Symphonie die
Warschawjanka, ,Unsterbliche Opfer ihr sanket heitere Ankunft auf dem Lande!’ Und dann
dahin’, ,Höher und höher’ und ,Im Osten blüht zogen wir rüber, nicht alle, denn es waren ja
der junge Tag’. Die Warschawjanka haben wir nicht alle musikalisch interessiert, und sie saß da
auch oft abends in der Kapelle gesungen. und spielte und erklärte uns dann: ,Das Ge-
witter - jetzt zieht das Gewitter wieder ab - jetzt
kommt der Sonnenschein.’
Feindliche Stürme durchtoben die Lüfte, Das war einer der schönsten Tage, die ich je in
meinem Leben erlebt habe.” (Emmi Gleinig)
drohende Wolken verdunkeln das Licht.
Mag uns auch Schmerz und Tod nun erwarten, Eine andere Schülerin schreibt über die Kapel-
gegen die Feinde ruft auf uns die Pflicht. lenabende:
Wir haben der Freiheit leuchtende Flamme
hoch über unseren Häuptern entfacht; “Die Teilnahme an den ,Kapellen’ war für alle
die Fahne des Sieges, der Völkerbefreiung,
die sicher uns führt in der letzten Schlacht. Erwachsenen verbindlich. Gelegentlich wurde
gegen diese Verpflichtung von Neuankömm-
Auf, auf nun zum blutigen, heiligen Kampfe, lingen opponiert. Man könne sich nicht von
bezwinge die Feinde, du Arbeitervolk. vornherein zu feststehenden Zeiten aufnah-
Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden,
erstürme die Welt, du Arbeitervolk! mefähig machen für Musik oder Literatur; diese
Dinge sollten dem einzelnen überlassen blei-
Tod und Verderben allen Bedrückern, ben. Solchen Kameraden wurde dann wohl für
leidendem Volke gilt unsere Tat, eine Weile die Beteiligung freigestellt. Aber es
kehrt gegen sie die mordenden Waffen, dauerte nicht sehr lange, dann kamen auch sie.
daß sie ernten die eigene Saat!
Mit Arbeiterblut gedüngt ist die Erde, Denn natürlich drangen die Erlebnisse dieser
gebt euer Blut für den letzten Krieg, Stunden auch nach draußen. Mozart, Bach,
daß der Menschheit Erlösung werde! Beethoven, Haydn, Homers Ilias, Dostojewskij,
Feierlich naht der heilige Sieg. Auf, van Goghs Briefe an seinen Bruder Theo und
vieles andere hat mancher erst dort richtig
Auf, auf nun . . .
kennen gelernt.
Elend und Hunger verderben uns alle,
gegen die Feinde ruft mahnend die Not. So oft Minna Specht von ihren Einkaufsreisen
Freiheit und Glück für die Menschheit erstreiten ! zurückkehrte (wir beneideten sie oft um die
Kämpfende Jugend erschreckt nicht der Tod. Möglichkeit des Einkaufens), brachte sie uns
Die Toten, der großen Idee gestorben,
werden Millionen heilig sein. schöne neue Platten mit. ,Sous les toits de Pa-
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